I, Refugee

Welcome Title

Neulich im Bloggeruniversum: Nele schreibt über Flüchtlinge und Sabine auch, Lutz hat die Aktion 1000 mal Willkommen gestartet. Und in meinem Kopf kreist schon lange der Gedanke, auch mal was zu sagen, einfach weil ich es will, weil ich muss, weil es raus muss, weil ich das ständige Lamentieren und Diskutieren satt habe. Weil ich Kommentare wie “Da fühlt man sich fremd im eigenen Land” oder “Ich hab ja nix gegen Ausländer, ABER…” satt habe.

Ich bin ein Flüchtling und das ist meine Geschichte:

Meine Oma väterlicherseits war Banater Schwäbin. Das ist eine deutsche Minderheit in Rumänien, Ende des 18. Jahrhunderts durch Kaiserin Maria Theresia nach Rumänien geschickt um das entvölkerte Land wieder zu besiedeln. Das ist über 200 Jahre her. Man kann also sagen, dass meine deutschen Wurzeln so weit zurück liegen, dass sie eigentlich nicht mehr vorhanden sind.

Meine Oma sah das wiederum anders. Sie war felsenfest davon überzeugt Deutsche zu sein, wenngleich sie nie in Deutschland gelebt hatte und das Land, bis auf wenige kurze Besuche, gar nicht richtig kannte. Meine Mama, durch und durch Rumänin, und ich frotzelten gerne, die Oma sei deutscher als jeder Deutsche. Zu mindest war sie das, was sie selbst für besonders deutsch hielt: überpünktlich, überpenibel. Und sie hatte sich in den Kopf gesetzt, dass sie als Deutsche in Deutschland besser aufgehoben wäre und die Familie dann natürlich auch. Also ging sie Ende der 80er aus dem kommunistischen, armen, heruntergewirtschafteten Rumänien nach Deutschland, besorgte sich die deutsche Staatsbürgerschaft (als Banater Schwabe kein Problem) und holte ihre Familie nach. Ihren rumänischen Mann, ihren Sohn, dessen vollrumänische Frau und deren Mischmasch-Kind, mich, damals knapp 6 Jahre alt. Außer meiner Oma konnte keiner von uns Deutsch. Ich lernte es damals sehr schnell, heute merkt niemand, dass Deutsch nicht meine Muttersprache ist. Meine Mutter brauchte länger und sie wird auch immer einen Akzent haben. Mein Opa lernte es nie.

Mama und ich Papa Dacia

Sind wir also Flüchtlinge? Nicht direkt. Wir wurden in Rumänien nicht verfolgt, nicht bedroht, die Revolution war noch nicht absehbar, wir hatten ein Dach über dem Kopf und, auch wenn es nur Sonntags mal Fleisch gab und mein Opa dazu stundenlang in der Schlange stehen musste, wir haben nie Hunger gelitten. Ich würde uns eher als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnen: Leute, die ihr Land verlassen, um wo anders ein besseres Leben zu haben. Ja, somit wären wir klassische Wirtschaftsflüchtlinge.

Heute, 26 Jahre später, sitze ich in einer Altbauwohnung in München, an einem Computer, ich schreibe für meinen Blog, bin Architektin, mit einem Deutschen verheiratet. Ich würde mal sagen, der Plan vom besseren Leben im wohlhabenden Deutschland ist aufgegangen. Danke, Oma!

Und trotzdem, diese Situationen, wenn in Gesprächen das sanfte Rauschen der latenten Angst vor der Überfremdung mitschwingt. Wenn über die Flüchtlinge geschimpft wird: “Das sind doch eh nur Wirtschaftsflüchtlinge”. Ich bin sauer, ich bin verletzt, ich fühle mich angesprochen.

Ich sage: Ich bin auch ein Wirtschaftsflüchtling!

Gerne gehörte Antwort: ” Ja, aber das ist etwas ganz anderes! Du bist ja total integriert, da merkt man ja gar nicht, dass du von wo anders bist!” Ok. Was wäre dann wenn ich einfach nur eine andere Hautfarbe hätte? Ich, so wie ich bin, nur in schwarz. Ich wäre immernoch voll integriert, aber man würde merken, dass ich von wo anders bin. Wäre das jetzt schlechter? Was ist mit meiner Mama? Sie ist genauso integriert wie ich, hat aber einen  Akzent. Ist das dann immernoch was ganz anderes? Was ist mit meinem Freund Ahmad? 30, Kardiologe, Palästinenser, schwarze Krausehaare, arabischer Akzent. Ahmad ist mit meiner Freundin Julia verheiratet, einer Deutschen. Was wird mit ihren Kindern sein? Sie werden hier geboren sein, aber vielleicht arabisch aussehen, nach ihrem Papa.

Ja, ich kann eure Vorbehalte verstehen. Ich ertappe mich selbst manchmal dabei mich unwohl zu fühlen wenn eine ganze Gruppe vollverschleierter Frauen auf mich zu kommt oder ich am Bahnhof einem Haufen schwarzer junger Männer begegne. Aber warum habe ich keine Angst, wenn mir eine Gruppe Amerikaner entgegen kommt? Oder Chinesen? Ja, ich weiß, die Sitten und Bräuche mancher Länder sind uns fremd. Wir wissen nicht so recht wie wir damit umgehen sollen. Aber eines sollten wir uns immer wieder vor Augen führen: Fremdenfeindlichkeit entsteht aus irrationaler Angst. Und aus Angst ist noch nie etwas Gutes hervorgegangen. Angst lässt uns hirnlos werden und bissig. Hinterfragt eure Angst, stellt euch ihr und ihr werdet sehen: it’s all in your head.

Ich bin Rumänin und habe noch nie ein Auto oder Fahrrad geklaut, bin bei niemandem eingebrochen. Auch kein anderer Rumäne den ich kenne. Sie sind vollintegrierte Ärzte, Zahntechniker, Krankenschwestern, IT-Experten, Schlosser und Hauswirtschafterinnen. Manche mit Akzent, andere nicht. Alles Flüchtlinge.

Refugees Welcome!

 

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  19 comments for “I, Refugee

  1. 12.08.2015 at 06:32

    Ein wirklich spannender Artikel, den ich sehr gerne gelesen habe. Viel dazufügen kann und will ich nicht. Danke aber für deinen Mut, deine Meinung zu äußern und auch Vorurteile anzusprechen. Die haben wir nämlich – egal wie offen und fortschrittlich wir sind oder uns geben – am Ende alle.

    • 12.08.2015 at 08:37

      Danke für deinen lieben Kommentar!
      Ich finde es in Ordnung Vorurteile zu haben, das ist einfach menschlich und passiert jedem von uns. Wir müssen sie nur einfach immer wieder hinterfragen, um nicht irgendwann als blinder Vollidiot zu enden, der ein Asylantenheim anzündet.

  2. 12.08.2015 at 09:17

    Dazu kann ich nicht mehr sagen als: Beide Daumen hoch! (Ich kenne noch vollintegrierte rumänische Ingenieure, Bauzeichner und EU-Mitarbeiter – oh, diese bösen bösen, kriminellen Rumänen!)

    • 12.08.2015 at 13:47

      Danke danke 🙂 Ach was, Rumänen können keinen Beruf lernen, die klauen nur. Deine Freunde sind bestimmt keine Rumänen 😉

  3. 12.08.2015 at 10:07

    Danke für deine Geschichte – manchmal denke ich, es ist doch gar nicht nötig so etwas zu schreiben, weil es eine Selbstverständlichkeit sein sollte, so eingestellt zu sein. Die aktuelle Situation zeigt: Ist es nicht. Also schreibt, schreibt, schreibt – denn auch wenn unter den Bloglesern warscheinlich keine Flüchtlingsgegner sind – so ist es doch wichtig, einen öffentlichen Standpunkt zu setzen.

    • 12.08.2015 at 13:49

      Danke Thea :* Ich weiß, wir sind alle müde vom ewigen dagegen schreien, wenn eh keiner zuhört, den man anschreien will… Aber aufgeben geht halt auch nicht.

  4. uli
    12.08.2015 at 10:08

    wow, super posting – und du hast es genau auf den punkt gebracht: die leute haben angst – angst vor ihrer eigenen unfähigkeit und weil es immer leichter ist, die schuld einem anderen zu geben als bei sich selbst zu suchen, wird immer der schwächste rausgesucht… meine hochtrabenden gedanken zum thema politiker, system etc. mag ich auch nicht mehr lammentieren – entweder es wird kapiert oder nicht.

    ich für meinen teil “teile” menschen eh nur in die kategorien “idiot” und “nicht-idiot” ein – das erleichtert mir die ganze sache enorm 😉

    das foto mit deinem papa (opa?) ist so cool…

    in diesem sinne WELCOME
    lg uli

    ps danke, dass du mein fahrrad nicht geklaut hast 😉

    • 12.08.2015 at 13:52

      Ich danke dir! Auf den Bildern sind je zweimal mein Papa (der leider gestorben ist, kurz nachdem wir nach Deutschland gekommen sind) und meine Mama, einmal mit mir als kleinen eingemümmelten Schneeball 🙂 Die Bilder sind noch aus Rumänien.
      Und ach ja: gern geschehen mit deinem Fahrrad! Momentan plane ich auch nicht mit Stehlen/Einbrüchen anzufangen, aber wer weiß… Bin ja immerhin Rumänin, vielleicht überkommt es mich irgendwann einfach 😉

  5. 12.08.2015 at 14:11

    <3 Sehr schön geschrieben. Ich denke, mit jedem Flüchtling kann es so oder so laufen – und das hängt ganz entschieden auch davon ab, wie man sie empfängt. Wenn man euch damals in ein Heim gesteckt hätte, ihr bzw. deine Eltern nicht hätten arbeiten dürfen, wenn Leute dagegen demonstriert hätten, dass ihr kommt und so weiter und so fort, dann sähe dein Leben heute vielleicht auch anders aus. Integration ist keine Einbahnstraße, die nur von den "sich zu integrierenden" Menschen kommen muss. Ohne Entgegenkommen ist das nicht möglich. Sich mit verschränkten Armen hinstellen, einem Menschen beim Fallen zuschauen und sagen "Aber der integriert sich ja nicht", ist unmenschlich und macht zudem überhaupt keinen Sinn.

    Liebe Grüße
    Nele

    • 14.08.2015 at 10:15

      Danke Nele! Wir wurden damals allerdings auch in ein Heim gesteckt. Ich war damals erst 6 und kann mich nicht mehr ganz genau erinnern, aber ich weiß noch, dass ich mich gewundert habe, warum wir jetzt mit wildfremden Menschen in einem Raum auf Stockbetten schlafen müssen. Aber ich kann mich an noch etwas anderes erinnern: einen netten Mann von der Behörde der mir ein paar Plastiktiere (“mein kleiner Bauernhof”) geschenkt hat. Ich habe mich riesig gefreut! Und dann hatten wir natürlich das Glück, dass meine Oma ja schon eine Wohnung hier hatte und uns bei sich aufnehmen konnte, sodass wir nicht so lange im Asylbewerberheim bleiben mussten.

  6. 13.08.2015 at 16:51

    Oh, ein toller Artikel! Ich finde es immer sehr interessant, solche Geschichten von Menschen zu hören, die selbst Migration erlebt haben. MIT Menschen sprechen, statt über sie: Das sollte normal sein. In allen Belangen!

    Marla hat einen ähnlichen Artikel veröffentlicht, vielleicht interessiert er dich auch: http://endemittezwanzig.de/2015/08/wir-und-die-anderen-gedanken-zum-fremden.html

    • 14.08.2015 at 09:04

      Danke dir Lina! Der Artikel von Marla ist großartig! Er stellt ganz genau die Situation so vieler Spätaussiedler dar: In der alten Heimat als Deutscher beschimpft in der neuen Heimat als Ausländer…

  7. 25.08.2015 at 14:02

    dein beitrag gefällt mir !

  8. nocturne
    31.08.2015 at 03:47

    Durch diesen Post zeigen sie, dass sie nicht annähernd verstanden haben worum es in der Flüchtlingsdebatte geht.

    Es geht hier nicht darum ob andere Menschen ein besseres Leben haben sollten oder nicht. Es geht um unseren Rechtsstaat, seine Verträge und die Ausnutzung des Flüchtlingsstatus.

    Sie und ihre Familenmitglieder waren niemals Wirtschaftsflüchtlinge, sie sind einfach nur Migranten. Meine Eltern waren das auch, die kamen in den 80ern aus dem Ostblock.

    Ihre Welt scheint sich nur um sie zu drehen, einfach nur erbärmlich.

    • 31.08.2015 at 09:29

      Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich diesen Kommentar freigeben soll oder nicht. Aber es ist ja schließlich so, dass auch andere Meinungen als meine persönliche zulässig sind. Nun denn, hier meine Antwort dazu:
      Zum einen finde ich es sehr unangemessen mich als erbärmlich zu bezeichnen, mich auf meinem persönlichen Blog anonym zu beleidigen, mir zu unterstellen meine Welt drehe sich nur um mich, nur weil ich eine Geschichte aus meiner selbstpersönlichen Perspektive erzähle. Erzählen Sie manchmal auch anderen Leuten aus Ihrem Leben? Dreht sich deshalb alles nur um Sie? Liebe(r) “nocturne” (leider können Sie offenbar nicht ganz so offiziell auftreten, wie es der Anstand gebieten würde, wenn man auf einem persönlichen Blog einen Kommentar hinterlässt), ich denke schon, dass ich die Flüchtlingsdebatte ganz gut verstanden habe. Was ich vor allem verstanden habe ist, dass momentan jedem, der aus einem ärmeren Land nach Deutschland kommt, grundsätzlich unterstellt wird, er komme um das System in Deutschland auszunutzen. Diese ständigen Seitenhiebe auf “die ganzen” Polen, Ungarn, Rumänen, Albaner, Türken, etc. sind erbärmlich. Die Annahme, jeder wolle die Deutschen beschießen ist erbärmlich.
      Ich frage mich, wo die Abgrenzung von Migrant und Wirtschaftsflüchtling anfängt. Wir wären mit Sicherheit nicht nach Deutschland gekommen, wenn die Verhältnisse hier nicht besser gewesen wären als in Rumänien. Nur weil meine Eltern über einen gewissen Bildungsstatus verfügten, heißt es nicht, dass wir nicht aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland gegangen sind.

  9. Manu
    11.11.2015 at 15:46

    liebe Roxanna, auch wenn dein Beitrag hier schon lange zurückliegt – ich persönlich habe einfach nur Angst vor der heranrollenden Welle muslimischer “Flüchtlinge”, die ihre Lebensweise hier weiterleben wollen ohne sich zu integrieren
    und dass es sich dabei meist um alleinreisende Männer im Alter von 18-35 handelt, lässt mich als Frau nicht unbedingt beruhigter abends mal allein unterwegs sein …
    liebe Grüße Manu, deren Oma aus Ostpreussen stammt

    • 12.11.2015 at 08:30

      Hallo Manu,
      ja, ich kann deine Bedenken absolut nachvollziehen, manchmal spukt mir auch sowas durch den Kopf. Aber an diesem Punkt muss man sich fragen: Ist es fair eine komplette Religion / ein komplettes Volk vorzuverurteilen? Wie oft wurdest du von muslimischen Männern belästigt? Wie oft von deutschen? Meine selbstpersönliche Statistik: von Deutschen oft, von Moslems noch nie.
      Ängste sind ok, aber man darf sich ihnen nicht ausliefern, sondern muss sie jeden Tag aufs neue hinterfragen. Meistens sind sie völlig unbegründet. Meistens entstehen die Ängste einfach nur aus aufgeschnappten und unüberprüften Falschmeldungen. Es hat keinen Anstieg an Kriminalität gegeben, es gab nicht mehr Vergewaltigungen und Füchtlinge liegen uns auch nicht für immer auf der Tasche, denn mittelfristig erwirtschaftet ein Flüchtling mehr für den Staat als er anfangs kostet. Ja, auch trotz des ungebildeten Anteils.
      Ich kenne aus meiner weiteren Umgebung zwei Türken, einen Palästinenser und einen Marokkaner. Alles Männer zwischen 25 und 35. Alles sehr liberale Familienväter, die sich gerne für die Gleichberechtigung der Frau einsetzen.

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