Unser Recht auf Fairness

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Ich habe mich heute von Julias Gastbeitrag bei impressionista inspirieren lassen und möchte euch auch ein bisschen was aus dem beruflichen Nähkästchen erzählen.

Ich war nie die übermotivierte Leib-und-Seele-Architektin, die ich vielleicht hätte werden können. Ich fand viele meiner Berufskollegen zu arrogant, zu traumtänzerisch, zu wenig pragmatisch. Wir sind nicht Gottes Geschenk an die Menschheit, wir bauen einfach nur Häuser. Im Idealfall sind es wunderschöne, funktionale, zeitlose Bauwerke, aber meistens leider nicht. Viel zu oft hören Bauherren nicht auf unseren fachmännischen Rat und unsere Erfahrung (offensichtlich kennt sich jeder Lehrer und jede Zahnarzthelferin genauso gut in unserem Metier aus wie wir selbst, die wir mehrere Jahre Architektur studiert haben), aber genauso oft verlieren wir Architekten uns in beschissene, völlig unwichtige Detailfragen, anstatt das Große und Ganze mal zu betrachten, planen so Mist wie innen liegende Dachentwässerung, die alle paar Jahre undicht wird, weil wir Regenfallrohre hässlich finden. Ne undichte Stelle mitten im Gebäude ist leider auch hässlich.

Nun ist es aber so, dass der klassische Architekt nichts anderes kennt als seinen Beruf, mit dem er voll und ganz verwachsen ist, dem er alles opfert: seine Freizeit, seine Freunde, sein Leben. Und deshalb scheint es absolut ok zu sein, dass „Überstunden mit dem Gehalt abgegolten sind“. Das Gehalt muss ohnehin nicht so hoch sein, denn man arbeitet ja aus Spaß an der Freude und nicht für schnöden Mammon.

Und hier knüpft die Geschichte meiner Freundin an – ich nenne sie einfach mal Rapunzel – ebenfalls Architektin, jahrelang angestellt in einem großen Architekturbüro mit mehreren Dependencen in ganz Deutschland. Sie ist anfangs motiviert, toller Job, verantwortungsvolle Projekte, nette Kollegen. Die Bezahlung – naja. Man kann ja nach einem Jahr wieder verhandeln. Sie ist ein Jahr dabei, zwei Jahre, die Gehaltserhöhungen sind nicht gerade üppig, die Projekte zeitintensiv, der Teamleiter hat nichts unter Kontrolle und wird irgendwann gegangen. Rapunzel denkt immer öfter an einen Wechsel, aber dann kommt dickes Lob aus der Führungsriege, sie arbeite ja so zuverlässig und gut und der Bauherr mag sie auch und ihr wird Projektverantwortung in Aussicht gestellt. So arbeitet sie jeden Tag 12 Stunden, an Jour-Fixe-Tagen fährt sie morgens um sieben auf die Baustelle und kommt nicht vor neun Uhr abends heim. Sie arbeitet am Wochenende, muss Urlaube verschieben, während ihr Chef sich eine neue Villa im teuren münchner Umland kauft. Kollegen kommen und gehen, Rapunzel hat zeitweise mehrere Projekte alleine an der Backe, oder muss noch neue Kollegen einarbeiten.

Anfangs gibt es noch Stundenzettel, die wöchentlich abgegeben und unterschrieben werden. Nachdem ein Kollege klagt und Recht bekommt, werden die Überstundenzettel spontan abgeschafft. Denn, wir ahnten es schon, „Überstunden“ sind eben nicht „mit dem Gehalt abgegolten“. Überstunden sind Überstunden und gehören auf irgendeine Weise vergütet, ob durch „abfeiern“ oder „ausbezahlen“ kann der Arbeitgeber selbst bestimmen. Dies gilt zu mindest für niedrigere Gehaltsgruppen, wozu definitiv auch junge Architekten zählen, und bei einer nicht näher definierten Anzahl an zu leistenden Überstunden. Urteile gibt es z.B. hier, hier und hier.

Nach mehreren Jahren streicht Rapunzel dann die Segel. Kurz vor dem Burnout, ausgelaugt, permanent gestresst, ihre frische Beziehung würde das nicht mehr lange mitmachen. Sie macht einen Schritt in eine Richtung, die unter Leib-und-Seele-Architekten gerne belächelt wird, den ich aber auch schon ziemlich früh gewagt habe: sie geht in den öffentlichen Dienst. Nein, hier „auf der dunklen Seite“ ist auch nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Ich hatte auch im öffentlichen Dienst schon sehr beschissene Zeiten, in denen ich monatelang 13-Stunden-Tage hatte. Aber: Jede Minute die ich zu viel gearbeitet habe, steht in meinem Überstundenkonto. Jede Minute die ich zu viel gearbeitet habe, kann ich irgendwann wieder abfeiern.

Und die Moral von der Geschicht? Lasst so nen Scheiß nicht mit euch machen! Es gibt nicht umsonst ein Arbeitsrecht. Es ist schlicht und einfach unfair in die Taschen des Chefs zu arbeiten, auf Kosten deiner Gesundheit, auf Kosten deines Privatlebens. Dieses ausbeuterische System kann nur solange existieren, so lange es Leute gibt, die das mit sich machen lassen, die sich nicht wehren. Ich weiß, leicht gesagt. Aber diese Situation gibt es in meiner Branche schon seit ich denken kann. Ich frage mich, wann die Ausgebeuteten endlich mal ihren Arsch hoch kriegen und Randale machen.

Ist das in eurem Beruf ähnlich? Sehe ich das zu emotional, zu dramatisch? Sollten wir alle einfach mal aufhören zu meckern und froh sein einen Job zu haben, oder ist wirklich mal Revolution angesagt?

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