Blogparade: Menschen, die ich nicht bemerke

Sabine, aka Fadenvogel, hat dieses sehr schöne Thema für eine Blogparade ausgesucht, der ich mich sehr gerne anschließe (so von Vogel zu Vogel ;-)).

Ich wohne seit mittlerweile ziemlich genau 5 Jahren im schönen münchner Stadtteil Neuhausen, mein Herzblut fließt durch die Donnersbergerstraße, vom Rotkreuzplatz bis zur Arnulfstraße, man grüßt sich hier, man ist per du. Aber bemerkt man sich auch? Nicht immer, aber immer öfter.

Donnersbergerstraße Radfahrer frei

Da ist z.B. die Schneiderin. Eine wunderschöne, große Frau, man kannte sich vom Sehen in dieser nachbarschaftlichen Straße, zum Gruße nickte man sich zu. Ich bin jahrelang an ihrem Laden vorbei gelaufen und habe das geschmackvolle Interieur bewundert, die kunstvoll um eine Schneiderpuppe drapierten Stoffe, die eleganten Damen, die ein und aus gehen. Ich dachte oft darüber nach, ob ich auch so einen schönen Laden hätte, wenn ich in die Fußstapfen meiner Großeltern getreten und Schneiderin geworden wäre… Und dann kam mein Brautkleid, das ich (dummerweise) selbst nähen wollte, das mich schlaflose Nächte und diverse Nervenzusammenbrüche gekostet hat. Ich war fast fertig und einigermaßen zufrieden, aber der Saum musste noch auf die richtige Länge gebracht werden, was man im Allgemeinen nicht selbst machen kann. Im Idealfall hat man dafür auch einen Rockabrunder. Da bin ich dann einfach mit meinem Haufen Seide in einer Papiertüte zur Schneiderin und sie hat mir die Länge abgesteckt. Freundlicherweise hat sie sich nicht näher zu meinen „Nähkünsten“ geäußert. Seitdem sind wir verbunden. Wir nicken uns zwar immernoch zur Begrüßung nur zu, vielleicht hat sie auch wieder vergessen wer ich bin. Aber ich werde immer wissen, dass sie einen Beitrag zu meinem Brautkleid geleistet hat.

Dann gibt es noch den Gruselmetzger – keine Angst, das ist nur ein Spitzname. Meine Freundin Jule hat mal einige Tage bei uns gewohnt, als sie auf Jobsuche in München war, und hat erzählt, dass sie sich Mittags mal ne Leberkassemmel holen wollte (für Nicht-Bayern: ein Fleischkäsebrötchen) und der Laden ganz verlassen und schaurig ausgesehen hat. So hat er den Spitznamen erhalten. Aber von der Leberkassemmel war Jule sehr begeistert! In Wirklichkeit ist der Metzger nämlich unheimlich nett und ich kaufe sehr gerne bei ihm ein, wenn ich es nachmittags rechtzeitig heim schaffe, und freue mich über seine Flirtversuche – ein waschechter Gentleman! Und wenn er mir mal morgens auf dem Weg zur Arbeit entgegen kommt und ich ihn freundlich grüße, dann sagt er: “Ach, so früh am morgen Ihre schönen Augen zu sehen, da ist der Tag schon gerettet!”. Ja, da beginnt auch mein Tag schon etwas besser, wenn der zauselige ältere Herr, nicht unähnlich Albert Einstein, wieder in die Komplimentekiste greift. Er hat mir neulich mal erzählt, er würde sich schön langsam auch gerne mal zur Ruhe setzen. Ist ja auch nicht mehr der jüngste und gesündeste, sagt er. Ich hoffe er bleibt uns noch ein wenig erhalten. Als Original der Donnersbergerstraße, mit Charakter und Gesicht, auch wenn ich sonst nichts über ihn weiß und er nicht über mich. Vielleicht frage ich ihn ja einfach mal!

Der Kioskbesitzer! Ein freundlicher Mann, der Kapuzenpullis von Punkrockbands trägt und mich monatelang fragte ob ich denn jetzt endlich geheiratet hätte, nachdem ich auf Brautschuh-Suche ein Dutzend Pakete bei ihm abgeholt und wieder abgegeben habe, bis ich fündig geworden bin. Jedesmal mit der Frage “Wieder nix dabei?” – “Nein, Farbe scheußlich, Größe passt nicht, zu hoch, zu niedrig…” Das erste mal, dass ich ein Paket bei ihm abgeholt habe und er meinen Perso kontrollierte, sagte er gleich “Ah, aus Timisoara! Meine Frau ist auch aus Rumänien!”. Ich habe ihm mein Beileid ausgesprochen (wir rumänischen Frauen sind wirklich nicht einfach) und dann erzählte er mir von seinen Kindern. Der Sohn hat kein Interesse rumänisch zu lernen, die Tochter schon. Und sein riesiger, superflauschiger Schäferhund hieß Rockeline – also so wie Rocky, aber als Mädchen. Irgendwann sah Rockeline nicht mehr ganz so fluffy aus und war irgendwie auch viel agiler – es war nicht mehr Rockeline, sondern Samba. Rockeline hatte es erwischt. Ich war ehrlich traurig, sie hatte einfach dazu gehört.

Wenn ich jetzt so drüber nachdenke, dann sind das alles gar nicht mehr Menschen, die ich nicht bemerke. Vielleicht war das anfangs so, aber mittlerweile gibt es Geschichten zu den Menschen – wenn auch nur ganz kleine Geschichten: sie verbinden irgendwie. Aber was wäre, wenn sie irgendwann weg wären? Was, wenn die Schneiderin umzieht, der Metzger sich zur Ruhe setzt, der Kioskbesitzer seinen Laden an die Kinder übergibt?

Ich glaube ich würde sie vermissen. Zumindest einen Augenblick lang.

 

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